Lieder ohne Korsett - Tom Krailing, ehemaliger Frontmann der Schaffhauser Rockband The Pride, kehrt auf seinem zweiten Soloalbum «Electrostreet», seine poppige Seite heraus.
Das Album beginnt mit einer Wunschliste, «was ich alles kaufen würde, wenn ich Geld hätte», und die allererste Figur erinnert an Dylans Gitarre. Aber schon im nächsten Lied tauchen Stimmen auf, die ebenso Brian Wilsons Kopf entstammen könnten. Und spätestens im vierten Song, der das Songwriting selbst zum Thema hat, sind die Klischees ganz über den Haufen geworfen: zwei Jagdhörner walzen beschwingt daher und rufen die britische Pop-Boheme der 60er Jahre wieder wach.
Für Tom Krailing, Sänger, Musiker und Schreiber, ist dieses zweite Solo-Album tatsächlich wie ein Signal. Stand das erste, das vielgelobte «Buffalo Ballet» aus dem Jahre 1995, für den Ausbruch aus dem Korsett der Rockband The Pride, so weist «Electrostreet» weg vom einseitigen Image des American Singer/Songwriter. «Gewiss ist die akustische Gitarre immer noch meine Basis, das, was ich am besten kann, was ich liebe.» Seine erste musikalische Sensibilisierung gehe aber weit über die klassischen Monumente hinaus. «Meine Etern waren «Durchschnittshörer». An den Geburtstagen seiner Mutter hatte es, erinnert er sich, immer «Rüeblitorte» und Elvis gegeben, und in Vaters Auto lief endlos die Kassette von Fats Domino. In seinen Teeniejahren indes focht Krailing die üblichen Grabenkämpfe zwischen Slade- und Sweet-Anhängern. Und heute, im Licht der neuen Seichtigkeit, muss er sich nicht einmal mehr um den damaligen Geschmack schämen.
Aktuelle Elektronik
Vor zwei Jahren kam ich total auf den John-Coltrane-Trip; aber auch alte Filmmusiken von Lalo Schifrin können mich faszinieren. Und natürlich die aktuelle Elektronik. Was man nicht nur beim Titel des neuen Albums ahnt: Zwischen den Zeilen schleicht da, beinahe unmerklich, manches Zirpen, Quietschen und Surren herein. Und gleich mehrmals listet Krailing den Sampler in den Liederdaten auf.
Mit dem konventionellen Instrumentarium sind dem Schaffhauser einige befreundete Musiker beigestanden, bei einem Song. «dem rockigsten», sogar die gesamte Züri-West-Crew. Die wichtigste Rolle nahm jedoch der Multi-Instrumentalist und Mit-Produzent Tom etter ein. Dazu Krailing: «Er hat due Kontrollfunktion der früheren Band inne, mit dem Unterschied, dass er mir musikalisch viel näher steht.» Und so spiet Etter jetzt, neben Bassist Jean Zuber, Tastenmann Hendrix und Trommler Fisch auch in der Ad-hoc-Begleitband für die «Elecrostreet»-Tournee mit. Und vielleicht wird dieses frôhliche Quintett denselben psychedelischen Fruchtsalat wiederfinden, der das Schlusslled des Albums markiert, das Lied, das jene Dinge aufzählt, die man eben nicht alle kaufen kann. BENEDETTO VIGNE
Züri-Tipp
